ESG-Risiken im Fokus des neuen EZB-Konsultationspapier zum überarbeiteten “Leitfaden für interne Modelle”
Am 22. Juni 2023 veröffentlichte die EZB ein Konsultationspapier zum überarbeiteten "Leitfaden für interne Modelle (Guide to internal models)". Die öffentliche Konsultationsphase endet am 15. September, und der aktualisierte Leitfaden wird voraussichtlich gegen Ende des Jahres fertiggestellt.
“Der markante Unterschied in der überarbeiteten Version besteht darin, dass die Banken nun berücksichtigen müssen, wie sich klimabedingte Risiken auf ihre Modelle auswirken könnten. Darüber hinaus gibt es zum Beispiel Veränderungen bei der Rückkehr zu weniger anspruchsvollen Ansätzen (z.B. dem Standard-Ansatz), beim Test von Rating-Philosophien sowie beim Umgang mit internen Modellen bei Fusionen”, sagt Patrik Scheele, Geschäftsführer der FCG und Experte für Kreditrisiken.
Können Sie uns Ihre Gedanken zu den Veränderungen in Bezug auf klimabedingte Risikotreiber mitteilen?
“Die wichtigste Änderung in der überarbeiteten Fassung betrifft klimabedingte Risiken. Es liegt auf der Hand, dass klimabedingte Risiken nun aus finanzieller Risikoperspektive ernst genommen werden. Im Guide wird definiert, dass klimabezogene Risikotreiber in interne Modelle (Kredit- und Marktrisiko) einbezogen werden sollen, wenn sie als relevant befunden werden. Die EZB legt fest, dass die Wesentlichkeitsbewertung im Einklang mit ihrem ” Guide on management and reporting of climate-related and environmental risk ” durchgeführt werden soll. In diesem Leitfaden schreibt die EZB vor, dass sowohl quantitative als auch qualitative Informationen für die Wesentlichkeitsbewertung verwendet werden sollten. Daher wird von den Instituten erwartet, dass sie ihre Einschätzung mit den verfügbaren qualitativen und quantitativen Informationen dokumentieren”, sagt Patrik Scheele.
Was bedeutet das für eine Bank?
“In den Kapiteln Probability of Default (PD) und Loss Given Default (LGD) in der überarbeiteten Fassung der EZB wird ausdrücklich hinzugefügt, dass klimabedingte Risikotreiber berücksichtigt werden sollten. Diese Anforderung haben wir bereits in den “Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung” der EBA gesehen. Das Nichtverwenden von klimabezogener Risikotreiber in den Modellen der Banken kann nicht nur dadurch begründet werden, dass mögliche Risikotreiber statistisch auf historische Daten keinen Einfluss haben. Die mögliche Nichtverwendung klimabezogener Risikotreiber muss ebenso fachlich begründet werden, da auch Risiken berücksichtigt werden sollten, die in den historischen Daten möglicherweise nicht auftreten, aber für die Zukunft erwartbar sind. Die EZB betont im Kapitel „Margin of Conservatism“ (MoC), dass das MoC alle Mängel berücksichtigen sollte, die sich aus fehlenden oder ungenauen Informationen ergeben, einschließlich, sofern relevant und wesentlich, fehlender oder ungenauer klimabezogener Informationen”, so Patrik Scheele.
“Das bedeutet, dass Banken, wenn sie der Meinung sind, dass es klimabezogene Risiken in ihrem Portfolio geben könnte, Konservatismus in ihren Schätzungen berücksichtigen müssen, wenn sie dies nicht statistisch auf der Grundlage eigener historischer Daten belegen können. Klimabezogene Risiken wurden auch in den überarbeiteten Leitfaden in Bezug auf „Overrides“ (Überschreitungen) aufgenommen, wobei die Erwartung geäußert wird, dass konservative Overrides vorzunehmen sind, wenn ein Verdacht auf klimabezogene Risiken besteht, die vom Modell nicht erfasst werden.”
Rückkehr zu weniger anspruchsvollen Ansätzen
In dem überarbeiteten Leitfaden gibt es ein neues Kapitel darüber, was von einer Bank erwartet wird, die zu einem weniger anspruchsvollen Ansatz zurückkehren möchte, z. B. vom „Advanced IRB“ zum „Foundation IRB-Ansatz“ oder vom IRB zum Standard-Ansatz. Dies hängt mit den erweiterten Möglichkeiten für Banken zusammen, dies gemäß der neuen Eigenkapitalverordnung (CRR3) vorzunehmen, die in der vergangenen Woche ebenfalls formell von der EU beschlossen wurde. Die Banken müssen erklären, warum sie zurückkehren wollen, da dies ihrem ursprünglichen Roll-out-Plan für IRB widerspricht.
Dafür ist eine Analyse notwendig, die sowohl die Kosten für das Verbleiben im IRB-Ansatz, die Verfügbarkeit von Daten als auch die Auswirkungen auf den Kapitalbedarf umfasst. Laut Patrik Scheele ist es nicht wahrscheinlich, dass die EZB eine Rückkehr genehmigen wird, wenn die Bank über genügend Daten für interne Modelle verfügt und wenn die Bank aus den geänderten Kapitalanforderungen einen großen Gewinn zieht.
Überprüfung von Rating-Philosophien
Im Guide gibt es eine Reihe neuer Absätze, in denen es darum geht, wie man Rating-Philosophien in der PD-Dimension testet.
Zur Erläuterung: Bei PD-Ratingsystemen einer Bank gibt es die folgenden Möglichkeiten:
„Through-the-Cycle“ (TtC) bedeutet, dass man keine Migration zwischen den Risikoklassen aufgrund von Veränderungen des makroökonomischen Umfelds erwartet. In diesen Systemen sollten Migrationen nur aufgrund von Änderungen einer einzelnen Datensatzes im Vergleich zu der Gesamtmenge stattfinden, sogenannte „idiosynkratische“ Risikoänderungen. In diesen Systemen wird erwartet, dass sich die Ausfallhäufigkeiten aufgrund des makroökonomischen Umfelds innerhalb der einzelnen Risikoklassen verändern.
„Point-in-Time“ (PiT) bedeutet, dass man aufgrund von Veränderungen des makroökonomischen Umfelds mit einer starken Migration zwischen den Risikoklassen rechnet. In diesen Systemen geht man davon aus, dass die Ausfallhäufigkeiten innerhalb jeder Risikoklasse in unterschiedlichen makroökonomischen Umgebungen stabil sind, da sich diese stattdessen in Migrationen widerspiegeln.
“Die meisten PD-Bewertungssysteme sind jedoch eine Mischung aus TtC und PiT, wobei in der Praxis häufiger PiT-Modelle zu finden sind. Banken können wählen, ob sie Modelle auf Ebene des Kalibrierungssegments, d. h. auf Portfolioebene, oder auf Risikoklassenebene kalibrieren möchten. Der neue Teil des Leitfadens betont die Notwendigkeit beide Kalibrierungsoptionen zu testen und insbesondere die REA-Effekte mit beiden Methoden zu bewerten. Diese Effekte sollten auch historisch und damit in unterschiedlichen makroökonomischen Umgebungen berechnet werden. Es liegt auf der Hand, dass die EZB nicht möchte, dass sich die Banken für eine Philosophie entscheiden, nur um die Kapitalanforderungen zu senken”, sagt Patrik Scheele.
Interne Modelle im Zusammenhang von Konsolidierungen
Es gibt ein neues Kapitel, wie mit Roll-out-Plänen im Falle von Fusionen oder Konsolidierungen umgegangen werden sollte. Die Banken sollten einen “Return to Compliance”-Plan für Compliance-Themen im Zusammenhang mit der Fusion vorlegen. Dazu gehört nun auch festzulegen, wie die neue Modelllandschaft direkt nach dem Zusammenschluss aussieht und wie die Zielmodelllandschaft geplant ist. Dieser Plan sollte Maßnahmen und Zeitpläne sowie die Art und Weise enthalten, wie die Bank die risikogewichteten Aktiva (REA) berechnen will, bis die vollständige Compliance erreicht ist.
Im Kapitel über die Modellnutzung wird aufgeführt, dass bei der Fusion zweier IRB-Banken die verschiedenen IRB-Systeme konsequent weiter genutzt werden sollten und keine “Rosinenpickerei” betrieben werden sollte, um die Kapitalanforderungen zu senken. Wenn Fusionen stattfinden, sollte so weit wie möglich eine kombinierte Ausfall- und Verlusthistorie verwendet werden, und es sollten angemessene Anpassungen (und MoCs) vorgenommen werden, um etwaigen Unterschieden in den Kreditprozessen zwischen den Unternehmen in der Vergangenheit Rechnung zu tragen.
Welche weiteren Änderungen enthält der neue Leitfaden?
“Es gibt ein neues Kapitel über die Definition of Default (DoD), das nicht Teil des aktuellen Leitfadens ist. Das Kapitel orientiert sich an der EBA-Leitlinie zur Definition von Ausfall, enthält jedoch einige spezifische detaillierte Auslegungen der Leitlinie.
Es gibt einen neuen Abschnitt über die Behandlung signifikanter Veräußerungen. Hier wird erläutert, wie Banken ihre LGD-Schätzungen anpassen können, wenn sie im Einklang mit Artikel 500 der CRR signifikante Verkäufe von ausgefallenen Risikopositionen getätigt haben.
Die Implementierung der Modelle sollte innerhalb von drei Monaten nach der Genehmigung durch die EZB abgeschlossen sein. Dies wird die meisten Banken dazu zwingen, parallel zum Antragsverfahren der EZB mit der Implementierung zu beginnen.
Wenn die Banken für alle Risikoparameter (PD, LGD und CCF) statistische Modelle für die Rangordnung der Risikopositionen verwenden, sollten sie Beobachtungen für Out-of-Time- und Out-of-Sample-Tests separieren. Ein Abweichen davon ist nur möglich, wenn eine zu geringe Menge an Daten nachgewiesen werden kann.
Banken sollten bei der LGD-Schätzung keinen festen Zeithorizont für Risikotreiber verwenden, es sei denn, sie können Repräsentativität nachweisen. Das heißt, wenn eine Bank Risikotreiberwerte (z.B. genau 6 Monate vor dem Ausfall) verwendet, kann es zu Repräsentativitätsproblemen kommen”, erklärt Patrik Scheele.
Was sind also zusammenfassend Ihre wichtigsten Beobachtungen?
Die Aufnahme von Klima- und Umweltrisiken in die überarbeitete Fassung zeigen, dass diese kontinuierlich in die Finanzmarktregulierung einfließen werden, so Patrik Scheele.
“Angesichts der neuen Anforderungen an klimabezogene Risikotreiber müssen Institute möglicherweise ihre Segmentierung oder die Strukturierung der Risikotreiber überdenken, da die meisten klima- und umweltbezogenen Risikotreiber nur für bestimmte Sektoren oder Unternehmen bestimmter Größen relevant sind. Eine Sache, die untersucht werden sollte, könnte die Verknüpfung von Risikotreibern sein, die klimabezogene oder ökologische Risikotreiber mit z. B. der Unternehmensgröße oder der Unternehmensbranche kombinieren. Ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Risiken sind, ist die Betrachtung von Rohstoffen (die stark von Klima- und Umweltrisiken betroffen sind): Preisänderungen bei Weizen, Energie oder Kraftstoff haben historische Korrelationen mit Ausfällen, jedoch nur für bestimmte Branchen und Unternehmensgrößen. Auf der anderen Seite können viele große Unternehmen ihr Engagement gegenüber Preisänderungen bei Weizen (Dürrerisiko), Aluminium (Umweltgesetze zur Regulierung des Bergbaus), Kraftstoffen (Übergangsrisiko) oder Energie mit komplexen Derivatinstrumenten absichern. Der Einfluss von derartigen Faktoren ist auch von der Art der Lieferketten abhängig: Einige Unternehmen verfügen über vertikal integrierte Lieferketten, während andere dies nicht umgesetzt haben. Dies zeigt, dass sich ESG-Risiken sehr unternehmensspezifisch auswirken können und sich diese Auswirkungen historisch nur bei kombinierten Kreuz-Variablen zeigen.
Da die EZB nun festlegt, dass der Referenzdatensatz (RDS) die für die Bewertung von Klima- und Umweltrisiken relevanten Daten enthalten soll, sollte je nach Art des Unternehmens beurteilt werden, welche Art von Daten zu erheben sind. Große Datenmengen können zugekauft oder gesammelt werden, aber das Sammeln falscher Daten kann teuer werden”, sagt Patrik Scheele.
“Die Durchführung von Wesentlichkeitsanalysen, die korrekte Identifizierung und Strukturierung von Risikotreibern sowie die Dokumentation werden in vielen Institutionen einen enormen Aufwand und eine Erweiterung der Kenntnisse erfordern”, fährt er fort. Des Weiteren ist eine verstärkte Koordination zwischen verschiedenen Bereichen einer Bank erforderlich. Modellentwickler sind erfahren hinsichtlich des Umgangs mit den bisherigen Arten von Risikotreibern, während klimabezogene Risikotreiber bisher nicht verwendet wurden. Diesbezüglich sind jedoch Erfahrungen in anderen Bereichen der Bank vorhanden. Einige können Informationen darüber geben, wie große Tierzüchter und Brauer Weizen mit Futures-Kontrakten kaufen. Andere können ihre Erkenntnisse darüber liefern, wie die kommenden EU-Gesetze und -Vorschriften bestimmte Geschäftsmodelle unrentabel machen. Darüber hinaus müssen Modellentwickler möglicherweise als letzten Schritt, nachdem alles andere getestet und dokumentiert wurde, manuelle Überlagerungen, MoCs oder Overrides als Lösungen in Betracht ziehen.” “Wie die endgültige Version des überarbeiteten Leitfadens aussehen wird, bleibt nach dieser Konsultationsrunde abzuwarten. Klimabedingte Risiken bleiben im Leitfaden erhalten. Es mag einige kleine Änderungen im Leitfaden geben, aber diese werden wahrscheinlich nicht vollständig verschwinden. Wie wir bereits in der Vergangenheit gesehen haben, passen sich die europäischen nationalen Behörden in Bezug auf ihre Aufsichtspraxis der EZB an. Daher können wir davon ausgehen, dass auch die lokalen Aufseher erwarten werden, dass relevante klimabezogene Risikotreiber stärker in die internen Modelle für Finanzrisiken einbezogen werden”, so Patrik Scheele abschließend.
Die zugehörige Pressemitteilung der EZB ist hier zu finden.